Fehlertheorie
Vor dem Hintergrund der systemorientierten Sichtweise entwickelte der englische Psychologe James Reason, u. a. auch auf der Grundlage der Arbeiten des Dänen J. Rasmussen das Swiss Cheese Model of System Accidents (Reason, 2000:768-70; Reason, 1990).
Dieses sogenannte "Schweizer Käse Modell" geht davon aus, dass aus einer Gefahr nur dann ein Unfall oder ein unerwünschtes Ereignis entstehen kann, wenn die dazwischen liegenden "Sicherheitsbarrieren" (dies können Menschen oder auch technische Vorkehrungen wie z. B. Alarme sein) versagen, also Löcher entstanden sind. Diese Löcher müssen dann auch noch durch "besondere Umstände" genau in einer "Achse" liegen. Die Löcher entstehen durch aktives und latentes Versagen (active and latent human failure), werden durch beitragende Faktoren beeinflusst und sind außerdem "dynamisch", d. h. sie öffnen, schließen oder verschieben sich über die Zeit.
Abb.: Swiss Cheese Model of System Accidents (nach Reason)
Aktives und latentes menschliches Versagen (active and latent human failures) (Reason, 1995:80-9):
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"Aktives Versagen sind unsichere Handlungen (Fehler und Verstöße), die von den am "scharfen Ende" des Systems Tätigen begangen werden (Ärztinnen/Ärzte, Krankenschwestern/Pfleger etc.). Es sind die Menschen an der Schnittstelle Mensch-System, deren Handlungen unmittelbare Auswirkungen haben können bzw. haben."
"Latentes Versagen entsteht durch Entscheidungen, die auf den höheren Stufen einer Organisation gefällt werden. Ihre schädigenden Auswirkungen zeigen sich möglicherweise lange nicht, und sie werden erst dann offensichtlich, wenn sie mit lokalen auslösenden Faktoren (...) zusammentreffen und die Sicherheitsbarrieren des Systems durchbrechen."
Latentes Versagen (z. B. falsche Entscheidungen des Managements) kann aktives Versagen auslösen bzw. dazu beitragen. Aber auch psychologische Vorläufer (z. B. persönliche Probleme des Mitarbeiters, die zu mangelnder Konzentration führen), lokale Auslöser und untypische Bedingungen (z. B. Erkältungswelle verursacht volles Wartezimmer) können aktives Versagen mitverursachen.
Als Fazit der Fehlertheorie kann festgehalten werden, dass das Entstehen eines unerwünschten Ereignisses oder Unfalls (fast) immer viele Ursachen auf verschiedenen Ebenen der Organisation hat, die zusätzlich durch Faktoren außerhalb der Organisation beeinflusst werden. Nicht nur in Großorganisationen wie Kliniken, auch in der einzelnen Arztpraxis lohnt es sich, latente Sicherheitsprobleme, das Funktionieren von Barrieren und die mittelbar zum Auftreten eines Fehlers beitragenden Umstände zu analysieren, um die Sicherheit zu erhöhen.
Quellen
- Reason J. Human Error.
Cambridge: Cambridge Univ. Pr., 1990. - Reason J. Understanding adverse events: human factors.
Qual Health Care 1995;4(2):80-9. - Reason J. Human error: models and management.
BMJ 2000;320(7237):768-70.
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